Wenn der Firstbaum gestohlen wird
Bei Sonnenglut am Dach
Wer geordnet planen und bauen kann, wird bald nach Frostende den Erdaushub beginnen und sodann die Mauern hochziehen. Denn es ist ideal, wenn der Dachstuhl noch vor der Hitze des Sommers aufgebracht werden kann. Wer schon einmal bei Sonnenglut am Dach arbeiten musste, wird wissen, wovon ich schreibe. In diesen Tagen ist ein geplantes Vorgehen am Bau eher schwierig, weil Lieferfristen von Baumaterialien meistens nicht eingehalten werden. Umso erfreulicher ist es, wenn dann wenigstens der Dachstuhl steht und der Firstbaum gesetzt werden und die Firstfeier begangen werden kann.
Man baut schließlich nur einmal im Leben
Die Firstfeier ist etwas Einmaliges. Es kommt ja nicht oft vor, dass ein Bauer eine Firstfeier veranstaltet. Meist einmal im Leben baut man neu, ob Wohnhaus oder Wirtschaftsgebäude. Das gehört schon so gefeiert, dass man noch Jahre danach darüber spricht.
Die Nachbarn kommen "roboten"
Wie es in bäuerlichen Kreisen auch heute noch üblich ist, gehen Nachbarn oder die anderen Bauern im Dorf von sich aus oder nach Plan ins „Robhalten“ oder „Roboten“. Diese Helfer erhalten für ihre Leistungen kein Entgelt, sondern eine Gegenleistung, wenn sie Hilfe notwendig haben. Einen Neubau in dem Größenausmaß, wie es bei Bauern notwendig ist, könnte sich kaum einer mit ausschließlich Professionisten leisten. Dies war auch schon vor Urzeiten so und deshalb hat sich dieser schöne Brauch auch erhalten. Dazu kommt noch, dass es sich bei Bauern ohnedies entweder um gelernte Handwerker handelt oder sie sind sowieso so geschickt, dass sie „ihr Handwerk“ verstehen.
Das Firstbaumstehlen
Kein Bauer lässt es sich nachsagen, dass er die Robhalter nicht mit Essen und Trinken genügend versorgt hätte. Dies gilt besonders für den Tag der Firstfeier. Wenn die Arbeit so weit fortgeschritten ist, dass nur noch die Dachdeckung fehlt, so findet der Tag der Firstfeier statt. Dazu kommen alle jene, die bereits auf dem Bau gearbeitet haben. Meist wird kurzfristig eingesagt und man wartet schon auf den Termin. Bereits am Morgen kann es zu einer Überraschung kommen. Der bereitgelegte Firstbaum fehlt. „Gestohlen!“, schreit einer. „Spitzbuben!“, ruft der Hausherr. Doch einer weiß Bescheid, wo der Firstbaum sein könnte, und lässt sich sein Wissen mit viel Bier „abkaufen“, das er selbstverständlich sogleich der Runde spendet. Sodann schleppen sie den Firstbaum herbei.
Wenn die "Kräfte versagen"
Ein anderer Brauch ist jener, dass bei fortschreitenden Arbeiten die „Kräfte versagen“ und die Bäuerin schnell zur Labung Essen und Trinken herbeischaffen muss. Das wiederholt sich des Öfteren. Andernorts wird der am Pfettenende aufgesetzte Firstbaum, der meistens von den Zimmerleuten mit bunten Bändern geschmückt wird, vom First gestohlen.
Zigaretten am Firstbaum
Früher war der Firstbaum meistens noch mit allerlei „verziert“: Es fanden sich Zigarren, Zigarettenpäckchen und manchmal auch Münzen darauf. Wenn der Firstbaum vom Dach gestohlen wurde, musste er ebenfalls gesucht und der „Boschen“ ausgelöst werden.
Geschlemmt wird wie beim Kirtag
Auf alle Fälle geht es am Tag der Firstweihe hoch her. Es wird viel gegessen und getrunken. Sogar Gebackenes, etwa Zwetschkenpofesen und Krapfen, wird aufgetragen. Es ist so ähnlich wie beim Kirtag. Das Mittagsmahl besteht aus einer Knödelsuppe, Schweine- oder Rindfleischspeisen und Sauerkraut. Meistens spenden die Robhalter als Entschädigung auch noch Geld. Bei den Robhaltern in Anthering ist die Höhe des Betrages sogar festgelegt.
Das Richtfest im Mittelalter
Das Richtfest lässt sich bereits im 14. Jahrhundert nachweisen. Der Brauch geht auf rituelle Formen der Zinszahlung und der Abgeltung von Arbeitsleistungen zurück, wie sie im Mittelalter nicht ungewöhnlich waren. Die festlichen Zusammenkünfte, die zum Abschluss der einzelnen Arbeiten abgehalten wurden, müssen als rechtsverbindliche symbolische Handlungen betrachtet werden, für die der Kontakt zwischen Untertan und Obrigkeit kennzeichnend war.