Österliches Vermächtnis von Gordian Guckh
Die Wallfahrtskirche St. Leonhard bei Waging am See ist den meisten von den prächtigen Leonhardiritten bekannt, die viele Schaulustige anziehen. Seit der Generalsanierung vor einigen Jahren erstrahlt die katholische Kuratiekirche innen und außen in neuem Glanz. Wer jedoch in der Karwoche bis Karfreitag die Kirche aufsucht, dem erschließen sich seltene spätgotische Predellen auf dem geschlossenen Flügelaltar. Sie geben Einsicht in vier Stationen der Passionsgeschichte der Glaubens-Welt um 1500. Ein großartiger Meister, der Laufener Maler Gordian Guckh, hat sie geschaffen. Er zeigt die Ölbergszene, die Kreuztragung, die Kreuzigung und die Auferstehung. Das Besondere: Diese Szenen sind in heimatliche Gefilde übertragen und zeigen etwa auch die älteste Ortsansicht von Reichenhall, die Umgebung von Salzburg mit Ainring im Vordergrund und Teisendorf. Wer an der Kunst der Gotik und hier besonders der Spätgotik interessiert ist, der wird bei der Ansicht der vier Predellen ins Schwärmen kommen. Gestiftet wurden sie von der Schiffergilde Laufen an der Salzach. Geschaffen wurden sie in den Jahren 1511 bis 1513.
Predelle 1, Ölbergszene
Das Geschehen in Gethsemane ist in heimatliche Gefilde übertragen. Mit der Ebene im Vordergrund meint der Maler die Ainringer Gegend, den Gaisberg und Nockstein zwischen der Felswand, und es ist der Nimbus Christi erkennbar, von Südwesten gesehen. Die Stadt im Hintergrund ist also Salzburg. Hart links neben dem Nimbus, dem Heiligenschein, sind die Westtürme des romanischen Doms gesetzt. Der Turm rechts neben dem Nimbus könnte der Stadtpfarrkirche oder St. Peter zugehören.
Predelle 2, Kreuztragung
Das Bild der Kreuztragung beschert die älteste Ansicht von Reichenhall. Der Blick ist von Westen gegen die Stadt gerichtet. Wie ein Keil geformt, scheint die Stadt auf dem Nimbus Christi zu lasten. Ganz links, hart neben der Klagemauer, ragt der Turm der Stadtpfarrkirche St. Nikolaus empor, rechts daneben ist die Burg Gruttenstein zu erkennen. Der Paulusturm steht beherrschend auf der Felswand im Rücken der Stadt. Schräg rechts darüber ist schemenhaft die Plainburg, heute nur mehr Ruine, wiedergegeben. Auf dem grell beleuchteten Hügel rechts sind drei Kreuze aufgerichtet: Golgatha über Reichenhall! Die Stadt macht einen öden, ruinenhaften, unheimlichen Eindruck. Sie ist jenes Jerusalem, das einem grausamen und schuldig gewordenen Pöbel Heimstatt ist, genauer gesagt: Heimstatt war.
Predelle 3, Kreuzigung
In der Kreuzigungs-Tafel ist die erste Horizontlinie durch den Fußnagel fixiert. Dieser Sichtweise gehören zum überwiegenden Teil die Schächer und die beiden Gruppen im Vordergrund an. Ausgenommen sind die Schulterpartie und der Kopf des Schimmelreiters. Christus ist wiederum von der Perspektive befreit bzw. alle drei Sichtweisen treten am Corpus auf. Die zweite Horizontlinie, nach der die Landschaft geordnet ist, läuft durch das Auge des Schimmelreiters und ist auch für dessen Schulter und Kopfpartie maßgebend.
Predelle 4, Auferstehung
Dieses Bild bringt einen weiteren Ort in die Szene der Auferstehung. Die Bergkette ist eindeutig als Fuderheuberg, Hochstaufen und Zwiesel erkennbar, wenn man sich die natürliche Ansicht von Nordwesten vergegenwärtigt. Demnach ist jetzt Teisendorf gemeint. Bei genauerem Hinsehen sind allerdings nur eine gotische Kathedrale und ein Palast zu erkennen. Offenbar stehen Pfarrkirche und Dechanthof, stark übersteigert, für den ganzen Ort. Zwei der drei winzigen Siegel am Sarkophag zeigen je eine stehende, frontal gesehene Aktfigur, offenbar eine griechische Göttin, deren Rechte einen Stab oder Speer hält. Das Attribut zur Linken ist nicht näher bestimmbar. Der Akt wirkt sehr lebendig, ist sichtlich ohne Vorzeichnung mit ebenso temperamentvollen wie sicheren Pinselhieben ins Rund gesetzt.