Die Mädchen waren zum Stricken da
Aufgewachsen bei einer Ziehmutter
Barbara Passrugger wurde als letztes von acht Kindern am Rettenegghof in Filzmoos geboren. Ihre Mutter starb bald nach der Geburt an Fieber. Da sehr viel Schnee lag, hatte es für den Arzt, der über den Roßbrand aus Radstadt kommen musste, kein Durchkommen gegeben. Nach dem Tod der Mutter kam sie an den Oberhof zu einer Ziehmutter. Die Frau lebte dort mit ihren Kindern alleine. In diesen Jahren ereilten zahlreiche Schicksalsschläge wie die Maul- und Klauenseuche den Oberhof. Drei Kinder der Ziehmutter starben an Blinddarmdurchbruch. Der Vater von Barbara vereinbarte mit der Ziehmutter, dass seine Tochter bis zum Tod der Frau bei ihr bleiben und unentgeltlich für sie arbeiten müsse.
Mit 14 Jahren begann der Ernst des Lebens
Am Tag des vierzehnten Geburtstages schieden die Kinder früher aus der Schule aus. „Da nach Beendigung der Schulzeit für die Kinder damals der Ernst des Lebens begann und sie vollwertig am Hof mitarbeiten mussten, wollte ich noch ein Jahr länger in der Schule bleiben, doch das ging nicht, weil die Klassen ja so überfüllt waren und der Lehrer deshalb für mich keinen Platz gehabt hatte“, erzählt Passrugger. Auch das Skifahren wurde den Mädchen ab dem vierzehnten Lebensjahr nicht mehr erlaubt. Für Mädchen gab es damals wenig sinnvolle Freizeitbeschäftigungen. „Die Leute waren der Meinung, dass die Mädchen ihre Freizeit mit Nähen und Stricken verbringen sollten“, erinnert sich Barbara Passrugger. Wenn jemand an den Hof kam und ein Mädchen saß ohne Strickzeug in der Stube, wurde es schon schief angeschaut. Sonntagnachmittags hatte sie ein wenig Zeit, in der sie niemand beachtete. In dieser Zeit las sie, was sich damals für Mädchen ebenfalls nicht ziemte, oder ging in den Wald. Doch auch diese Zeit, in der sie machen konnte, was sie wollte, war sehr kurz, da sie jeden Sonntag um zwei Uhr nachmittags zur Andacht gehen musste. Nach der Andacht gab es dann eine Jause. Kurz nachher war es auch wieder zum Stallgehen und der Sonntag war schon wieder vorbei.
Liebe zu zeigen, war tabu
„Als Kind sah ich kein einziges Mal, wie sich zwei erwachsene Menschen, egal ob sie verheiratet waren oder nicht, umarmt hätten, andere Zärtlichkeiten oder nette Worte untereinander ausgetauscht hätten“, erinnert sie sich. Auch durften Kinder, wenn sie etwas älter waren, nicht mehr auf dem Schoß der Eltern sitzen. Liebe zu zeigen, war damals tabu. Den Kindern, die nachfragten, woher die Kinder eigentlich kämen, wurden alle möglichen Geschichten erzählt. Die vom Storch ist davon nur die bekannteste. Barbara selbst erfuhr erst im Alter von sechzehn Jahren die Wahrheit über das Kinderkriegen.
Die erste Liebe
Als sie mit 16 das erste Mal den Sommer über auf einer Alm arbeiten musste, kam einer der Kirchenmaler, die mit der Renovierung der Filzmooser Kirche beschäftigt waren, mit dem Rad auf die Alm. Sie hatte sehr große Angst vor dem Burschen und setzte sich ganz weit von ihm weg. „Am liebsten wäre ich jeden Augenblick weggelaufen“, erzählt Barbara Passrugger. Doch langsam kamen sich beide näher und „verliebten sich ineinander“, wie sich Barbara ausdrückte. Der Kirchenmaler kam den ganzen Sommer über jeden Tag auf die Alm. „Es war die schönste Zeit meines Lebens“, erzählt sie.
Der Schandfleck des Dorfes
Damals veranstaltete der Maler auch ein Waldfest in Filzmoos. „Zum Tanz durfte man aber erst als Volljährige gehen“, erklärt sie. Deshalb bat Passrugger ihre Ziehmutter um Erlaubnis, und diese erlaubte es unter der Bedingung, dass sie zuvor noch ihren Vater um dessen Einverständnis bitten müsse. Den Vater traute sie sich nicht zu fragen, da er es ohnehin nicht erlaubt hätte. Sie ging aber trotzdem zum Fest. Der Vater erfuhr schon am nächsten Tag davon und ließ sie zu ihm kommen. Er war sehr erbost, denn seiner Meinung nach war sie dadurch zum Schandfleck des Dorfes geworden.