Verarbeitet bedeutet nicht automatisch ungesund
„Es gibt aktuell keinen wissenschaftlichen Konsens über die Definition solcher Produkte und darüber, dass der Verarbeitungsgrad per se ein Gesundheitsrisiko ist. Die Verarbeitung hat in vielen Fällen positive Effekte auf die Lebensmittelsicherheit, kann den Nährstofferhalt fördern und unterstützt durch verschiedene Convenience-Stufen im oft dichten Alltag“, so Marlies Gruber, Geschäftsführerin des f.eh. „Hochverarbeitete“ Lebensmittel tragen Studien zufolge in vielen Ländern rund um den Globus 30 bis 60 % zur Energieaufnahme bei. In der EU liegt der Durchschnitt bei etwa 27 %. Den Großteil davon machen Feinbackwaren, Würste, Fertiggerichte, Margarine und Saucen sowie Softdrinks, Obst- und Gemüsesäfte sowie Milchprodukte aus.
Argumentation der Kritiker umstritten
UPF werden häufig mit einem hohen Gehalt an Kalorien, Fett, Salz und Zucker, jedoch wenigen Vitaminen und Ballaststoffen assoziiert. Die öffentliche Diskussion über „hochverarbeitete“ Lebensmittel basiert aber meist auf emotionalen Argumenten sowie wissenschaftlich umstrittenen Definitionen, die der Komplexität des Themas nicht gerecht werden, wie zwei Beispiele, siehe Kasten unten, zeigen.
Verarbeitung sichert Qualität
Häufig wird in dem Diskurs auch übersehen, dass die Verarbeitung wesentliche Funktionen erfüllt. So sind manche Lebensmittel roh nicht verzehrfähig (z. B. Kartoffeln) und bestimmte Substanzen werden erst durch den Verarbeitungsprozess so moduliert, dass sie vom Körper aufgenommen (z. B. Lycopin aus Tomaten) oder Giftstoffe abgebaut werden können (z. B. Phasin aus Hülsenfrüchten). Durch Verfahren wie Pasteurisieren, Fermentieren oder Einfrieren können schädliche Mik-
roorganismen reduziert und wertvolle Nährstoffe erhalten werden.
Darüber hinaus können verarbeitete Lebensmittel einen wertvollen Beitrag zu einer individuellen Ernährung leisten, etwa bei Menschen mit Unverträglichkeiten (z. B. laktosefreie Produkte), bei besonderem Nährstoffbedarf oder im hektischen Alltag, wenn frisch zu kochen nicht immer möglich ist. Im Diskurs werden auch enthaltene Lebensmittelzusatzstoffe oft als „chemisch“ oder „unnatürlich“ kritisiert. Sie zählen aber zu den am strengsten geprüften und regulierten Substanzen in der EU. Ihre Verwendung ist nur erlaubt, wenn sie gesundheitlich unbedenklich und technologisch notwendig ist.
Menschen mit Wissen ausstatten
„Ein generelles Meiden aller Produkte der NOVA-Gruppe 4 würde auch Lebensmittel wie Vollkornprodukte, fettreduzierte Milchprodukte oder manche Hülsenfruchtprodukte ausschließen, die positiv zur Nährstoffversorgung beitragen“, so Marlies Gruber. Anstatt Angst oder Misstrauen zu fördern, setzt das f.eh auf eine evidenzbasierte und differenzierte Information sowie Ernährungsbildung. „Wir müssen die Menschen mit Wissen, Kompetenzen und Fertigkeiten ausstatten, damit sie gesundheitsförderliche Entscheidungen treffen können. Die Zukunft liegt nicht im Schwarz-Weiß-Denken, sondern im differenzierten Umgang mit Lebensmitteln.“
Unverarbeitet bis hochverarbeitet
Erstens ist das zentrale Element der Diskussion, nämlich die NOVA-Klassifikation, enormer Kritik in der Wissenschaft ausgesetzt. Sie unterteilt Lebensmittel nach ihrem Verarbeitungsgrad in vier Gruppen von „unverarbeitet“ (Gruppe 1) bis „hochverarbeitet“ (Gruppe 4). Die Systematik berücksichtigt allerdings weder den Nährstoffgehalt noch die Lebensmittelmatrix und führt zu einer sehr heterogenen Produktgruppe. „In der Kategorie 4 finden sich Produkte wie Limonaden und Snacks genauso wie geschnittenes Vollkornbrot. Ein industriell hergestelltes Vollkornbrot ist aber kein Junkfood, nur weil es in großem Maßstab hergestellt, maschinell geschnitten und verpackt wurde. Die NOVA-Klassifikation wirkt auf den ersten Blick simpel, ist jedoch kein verlässlicher Gesundheitsindikator“, so Marlies Gruber.
Risikofaktoren für bestimmte Erkrankungen
Zweitens zeigen Beobachtungsstudien zwar Zusammenhänge zwischen einem hohen Anteil an UPF in der Ernährung und einem erhöhten Risiko für Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, doch können diese Studienarten keine Kausalität nachweisen. Viele Menschen mit hohem UPF-Konsum haben etwa zugleich einen insgesamt ungesünderen Lebensstil mit geringerer körperlicher Aktivität, ein niedrigeres Einkommen oder einen höheren Tabakkonsum.
All das sind bereits Risikofaktoren für die angeführten Erkrankungen. Viele Studien zu den Gesundheitseffekten weisen zudem eine niedrige methodische Qualität auf, wie die DGE kritisiert.